Digitalisierung, künstliche Intelligenz („ChatGPT“) und Zulässigkeit von digitalen Ton- und Bildaufnahmen – eine Analyse und Kritik aus populärwissenschaftlicher Sicht
Der Beitrag soll Versäumnisse aufzeigen, dass exakte digitale Beweisergebnisse in vielen Behörden- und Gerichtsverfahren fehlen.
Wie sich heute am 7. Juli 2023 in Deutschland an dem Freispruch des "Badewannen Mörders" (SWR.de) nach 13 Jahren Haft gezeigt hat, ist die Digitalisierung, die bei Sachverständigengutachten ungeahnte Fortschritte mit sich bringt, von elementarer Bedeutung für Gerichtsverfahren. Gerade bei gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren muss die Digitalisierung unverzüglich umgesetzt werden.
Trotz erster Schritte der Digitalisierung in der Justiz und Verwaltung bestehen immer noch überholte Vorgänge und Defizite in der gerichtlichen und behördlichen Dokumentation.
1. Vor allem Beweisaufnahmen, die Verhandlungsvorgänge, Erklärungen des Gerichtes, der Parteien und vor allem die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen werden nicht digital aufgenommen. Dies ist jedoch für das faire Verfahren iSd Art. 6 EMRK Abs. 1 unumgänglich.
Obgleich der Gesetzgeber (in Österreich) bereits einige Vorschriften zur Umsetzung erlassen hat, fehlt es jedoch nach wie vor nicht nur an der zwingend notwendigen digitalen Aufzeichnung, also an einer digitalen Erfassung der gesamten Gerichts- oder Verwaltungs-Verhandlungen, sondern wird diese unverständlicherweise oftmals unterlassen.
Erst mit digital erfassten Verhandlungen und Beweisaufnahmen wären überhaupt Rechtsmittel bei strittigen Beweisfragen exakt überprüfbar.
2. Sogar abseits der Rechtspflege haben zwischenzeitig digitalisierte Aufzeichnungen sogar im Sport und anderen Lebensbereichen lange Einzug gehalten.
Zwischenzeitig ist sogar im Fußball die sogenannte digitale Torlinientechnik und der Videoschiedsrichter unbestritten und ständig in Verwendung, da ansonsten oft Fehl-entscheidungen getroffen wurden.
Solche Fehlentscheidungen sind bei Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht ausgeschlossen. Nur nachvollziehbare, exakte digitale Beweisergebnisse können iS eines fairen Verfahrens durch wirksame Beschwerden (Art. 13 EMRK) bekämpft werden.
In Österreich steht die EMRK sogar im Verfassungsrang. Dennoch fehlen de facto in vielen Verfahren solche exakte digitale Beweisergebnisse.
3. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis diese Rechtsfragen durch mangelnde Kontrollmöglichkeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu entscheiden sein werden.
Da bereits andere Mitgliedsstaaten die digitale Aufzeichnung in ihren Rechtsordnungen umgesetzt haben, ist damit zu rechnen, dass hier die bestehenden gravierenden Defizite in Österreich zu negativen Entscheidungen führen werden.
Bis dahin muss jeder Rechtssuchende diese Rechtsfragen an die europäischen Gerichtsinstanzen (EGMR und EuGH) selbst – soweit möglich – herantragen.
4. Um bereits jetzt einen höheren Standard zu erreichen, steht es nur dem einzelnen Rechtssuchenden mit rechtlicher Ungewissheit des Verfahrensausgangs offen, durch eigene digitale Aufzeichnungen seine Rechte in diesem Sinne zu wahren, sofern er – wie dies regelmäßig in vielen Gerichtsverfahren und Behördenverfahren vorkommt – Abweichungen und eine exakt nachvollziehbare Beweisaufnahme anstrebt.
5. Die künstliche Intelligenz (derzeit ist das KI-Tool „ChatGPT“ in kritischer Diskussion) würde dabei sogar – wie bereits bei vielen medizinischen Behandlungsmethoden wesentlich exaktere Aussagen zulassen:
So erkennt die künstliche Intelligenz-Software etwa bei Hauterkrankungen oft wesentlich genauer und rascher Hautveränderungen als der Hautarzt selbst.
Ebenso im Bereich der Inneren Medizin, Chirurgie, etc., wo bereits standardmäßig der Roboter mit KI im Einsatz ist.
Oft bleiben daher im Rechtsbereich dem Richter und dem Rechtsuchenden unzählige Beweisergebnisse verborgen und wird es – wie bereits erste Verfahren in Amerika zeigen – zu schwierigen Haftungsfragen kommen, auch gegenüber Rechtsvertretern, die digitale Beweisaufnahmen außer Acht lassen oder gar nicht nützen.
6. Sofern nicht umgehend der Einsatz digitaler Beweisaufnahmen – unterstützt mit künstlicher Intelligenz – anstelle der analogen Beweisaufnahme durch Richter und in vielen Verfahren beigezogenen Sachverständigen, etc. Anwendung findet, werden die Qualitätsmängel zunächst geradezu in Kauf genommen.
Natürlich kann nicht jede digitale Überprüfungsmöglichkeit eingesetzt werden, aber standardmäßige Tools sind unverzichtbar!
7. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass digitale Aufnahmen verändert werden können, was im analogen Bereich im Übrigen auch nicht ausgeschlossen werden kann. Auch wenn die Öffentlichkeit gerade durch erstaunliche digitale Veränderungen, zB in der digitalen Bildbearbeitung, zu einer Misstrauensstimmung verleitet wird, können Softwarespezialisten unberechtigte Eingriffe in die digitale Welt überprüfen und in vielen Fällen zur Gänze ausschließen.
Ein digitales Gebilde merkt sich, anders als der Mensch, alles in seinem Softwareprogramm nahezu „auf ewige Zeiten“:
Es wäre wohl an der Zeit diese Art der Unbestechlichkeit und das „ewige Wissen“ der digitalen Welt auch in der Justiz zu nützen!
8. Dabei bestehen noch unerklärliche rechtliche Hürden, die jedoch durch die Rechtsprechung bereits eingerissen werden, und ist zu beachten:
Dabei geht es vor allem um die Rechtsfrage der Verwertung dieser digitalen Aufzeichnungen, dh. ob der Richter solche unbestreitbare Beweise verwenden muss!
Oft wird durch den mit hohen Hürden verhinderten Einzug des digitalen Fortschrittes, die Rechtssicherheit geradezu konterkariert.
So werden sogar in Gerichtsentscheidungen und von Rechtsvertretern zuweilen Beweisergebnisse nicht berücksichtigt, da durch strittige Beweisverwertungsverbote (etwa von Bild- und Tonaufnahmen) nicht die tatsächlichen Vorgänge in ihrer Gesamtheit nachvollziehbar festgehalten werden.
9. Dazu sind auch noch die Grenzen des Datenschutzes vor allem der personenbezogenen Daten (insb. Art. 6 und Art. 23 DSGVO) besonders zu beachten, wobei nicht jeder Verstoß zu einer rechtswidrigen Verarbeitung und damit Verwendung in einem Verfahren führt, was in jungen Entscheidungen des EuGH und EGMR zum Ausdruck kommt.
So ist zu prüfen, ob die Vorlage in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung notwendig und verhältnismäßig ist.
Derzeit vertritt der Generalanwalt des EuGH in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-548/21 die Auffassung, dass für den polizeilichen Zugriff auf die personenbezogenen Daten auf einem Mobiltelefon nicht notwendigerweise ein schweres Verbrechen vorliegen muss. Der Zugang müsse allerdings in jedem einzelnen Fall gerechtfertigt sein.
10. Zur Verwertung von Beweisen in den Verfahren:
A. Im Verwaltungsverfahren, insbesondere im Verwaltungsstrafverfahren, gibt es ja gar kein Beweisverwertungsverbot (vgl. z.B. VwGH v. 09.09.2014, Ra 2014/09/0009; s.a. VwGH v. 13.07.2017, Ra 2014/17/0018, zur Auskunftspflicht nach den Parkgebührengesetzen im Lichte des Art. 6 EMRK)
Hinsichtlich der digitalen Aufzeichnung von Verhandlungen durch Parteien (z.B. bereits mittels Handy, das mit digitaler Videokamera und digitaler Tonaufnahme in ungeahnten Qualitäten nahezu jeder Person zur Verfügung steht) findet sich im VwGVG keine explizite Regelung.
Dies bedeutet, dass eine solche nicht verboten ist! Demnach ist sie vielmehr geboten!
So z.B. beim alltagstypischen Verkehrsunfall, etc. sind Bild- und Tonaufnahmen die Grundlage für eine objektive Entscheidung.
Viele digitale Überwachungskameras werden bei der Beweisaufnahme nicht herangezogen.
Selbst die Auswertung von digitalen Handydaten – sogar von Gerichtspersonen oder Verwaltungsorganen (Polizeibeamten) – selbstverständlich beschränkt auf das konkrete Verfahren, ist nicht generell unzulässig.
Gegebenenfalls ist allerdings § 25 Abs. 4 VwGVG zu berücksichtigen (Verbot der Weiterverbreitung bei Ausschluss der Öffentlichkeit).
Im Übrigen gelten für das Verfahren der Verwaltungsgerichte ergänzend die Bestimmungen des § 14 AVG (Niederschriften) und des § 44 VStG (Strafverhandlungsschrift).
Diese Bestimmungen sind jedoch ohnehin verfassungskonform auszulegen und haben neue Entscheidungen des EGMR und EuGH hier ihre Anwendung.
B. Im zivilgerichtlichen Verfahren kann die Aufnahme einer Verhandlung bzw. die Verwendung eines Handys im Rahmen der Sitzungspolizei untersagt werden (OGH v 24.05.2018, 6 Ob 82/18d); allerdings sind Aufnahmen zwecks Beweissicherung grundsätzlich zulässig (4 Ob 160/11z).
Die Untersagung bedarf daher ganz besonderer Gründe, die aufgrund des Öffentlichkeitsgrundsatzes in der Regel (idR) gar nicht gegeben erscheinen.
C. Auch gibt es im österreichischen Strafprozesskein absolutes Beweisverwertungsverbot für private Tonbandaufnahmen, vielmehr ist die Verwendung selbst eines heimlichen Tonbandmitschnittes im Strafprozess grundsätzlich zulässig: insbesondere zur Entlastung des Beschuldigten vom Vorwurf einer Straftat.
Dies ist bereits unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands zulässig (vgl. OGH 15 Os 3/92; Lewisch in WK2 § 120 Rz 21 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 120 RN 3).
Fraglich ist sogar, ob im Hinblick auf die Beschuldigtenrechte, die nach Art. 6 EMRK geschützt sind, digitale Bild- und Tonaufnahmen sogar auch Beteiligten am Verfahren (insb. in Rechtsmitteln) im Original übermittelt werden dürfen.
Damit werden – soweit es um den Beschuldigten geht, etwa bei seiner eigenen Aussagen – dessen Rechte ansonsten beschnitten.
Dennoch muss der Opferschutz (beispielsweise durch jederzeit mögliche Verpixelung bei Bilddaten von Opfern und Beteiligten) uneingeschränkt gewahrt bleiben.
11. Damit sind auch sogenannte allgemeine Hausordnungen, die ohnehin am Grundsatz der Öffentlichkeit für Gerichtsverfahren zu messen sind, von Vornherein idR unzulässig und mangels gesetzlicher Grundlage wohl generell verfassungswidrig und stellen nicht zeitgemäße Eingriffe in den Persönlichkeitsschutz der Verfahrensparteien dar. Sie können auch idR nicht mit den eigenen Interessen der Gerichtspersonen und Rechtsvertreter erklärt werden.
12. Selbst eine unzulässigerweise angefertigte Aufnahme einer Gerichtsverhandlung fällt idR nicht unter das Beweisverwertungsverbot (vgl. EGMR v 12.07.1988, EuGRZ 1988, 390; EGMR v 18.10.2016, 61838/10, RN 91 ff). Die bloße Aufnahme der eigenen Aussagen und vorgelegten Beweise fällt ohnehin nicht darunter.
Der im Spannungsverhältnis zu den Grundwerten der Objektivität und Öffentlichkeit stehende Straftatbestand zu Tonaufzeichnungen (§ 120 StGB) setzt ohnehin ein Benützen voraus, um sich oder einem anderen Unbefugten von einer nicht öffentlichen und nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmten Äußerung eines anderen Kenntnis zu verschaffen.
Die unbestechliche Wahrheit sollte mit digitaler Gewissheit erfasst werden!
Nicht zuletzt, um zu verhindern, dass Extremisten durch ungehinderte Verbreitung von Propaganda und Fake-News in der digitalen Welt die alleinige Deutungshoheit erlangen.